Elisabeth Block

Elisabeth Block – Bayerische Anne Frank

Ein Dachbodenfenster beleuchtet schlecht einen kleinen Raum mit abgeschrägten Wänden. Ein 15-jähriges Mädchen sitzt am Tisch. Ihr dunkelblondes Haar ist zu einem langen Zopf geflochten. Eine Öllampe auf dem Tisch beleuchtet ihre Hände und das dicke Notizbuch, in das sie gerade ihr Tagebuch schreibt.


Es ist noch nicht lange her, da gehörte ihrer Familie das ganze Haus in einem Vorort von Rosenheim mit einem großen Gartengrundstück und einem Bauernhof. Von diesem Haus aus ging sie mit ihren Schulfreunden in die Berge, bestieg den Gipfel der Kampenwand (1669 m). Doch all das liegt nun in ferner Vergangenheit. Ihr Haus und alles andere wurde für ein Almosen an ihre Nachbarn, die Hochstetters, verkauft - schließlich dürfen Juden nach einem neuen Gesetz keine Immobilien besitzen. Dem guten Heinrich Hochstetter sei Dank: Sie dürfen wenigstens hier wohnen, im obersten Stockwerk.


Elisabeth Block blättert eine Seite in ihrem Tagebuch um, und bevor sie ihre letzten Eindrücke niederschreibt, spricht sie sie laut aus. Vor kurzem feierte die Familie das jüdische Sukkot - Fest. Nur in ihrem Tagebuch hält sie das Erlebnis mit dem deutschen Wort „Laubhüttenfest" fest. Elisabeth erinnert sich an einen Ausflug in eine Synagoge in München, wo an diesem Tag Frauen vom Balkon aus Süßigkeiten an Kinder warfen. Zu Chanukka zogen Elisabeth und ihre Freundinnen weiße Strümpfe und hellblaue Kleider an, puderten sich Perücken auf dem Kopf und tanzten in dieser Kleidung das Menuett. Sie erinnerte sich insbesondere an die Fahrten mit der Pferdekutsche zu ihrem Landhaus, wo sie Rüben gruben und Kohl schnitten und dieses Gemüse aßen.


Die Lampe geht aus.


Zwei Jahre sind vergangen. Derselbe Raum, derselbe Tisch, und die beiden Mädchen, Elisabeth und ihre Schwester Gertrud. Elisabeth führt weiterhin ihr Tagebuch. Darin erscheint ein neuer Eintrag: "Seit Januar 1940 haben die Juden keine Marken für Schuhe, Stoffe und Leder mehr erhalten."


Die Nachbarin Frau Hochstetter betritt den Raum. Sie schneidet 41 Marken für Kleidung und Unterwäsche aus ihrer Karte aus und gibt sie Elisabeth. Elisabeth nimmt dankend an. Elisabeth und Gertrud erzählen, wie sie sich kürzlich zu dritt - Elisabeth, Gertrud und ihr Brüderchen Arno - auf den Markt im Nachbardorf getraut hatten, um neue Anziehsachen zu kaufen: Ihre Kleidung war völlig zerschlissen. Der Handel dort war recht lebhaft, aber zum größten Teil wurde nicht gegen Geld verkauft, sondern man betrieb Warentausch. Die Mädchen brachten etwas vom Hausrat mit und tauschten es erfolgreich gegen notwendige Dinge ein. Die Bauern versorgten sie mit Strickwolle, gaben ihnen Honig und Arno bekam eine Weste geschenkt. 

Elisabeth hält das alles in ihrem Tagebuch fest und schaltet dann die Lampe aus: Das Öl muss gespart werden.


Die Lampe geht aus.


Ein weiteres Jahr ist vergangen. Der gleiche Raum mit dem Dachbodenfenster. Auf dem Boden stehen mehrere Koffer und ein Wäschekorb. Auf ihnen sitzen Elisabeths Eltern, Miriam und Fritz Block, und die Kinder. Alle sind niedergeschlagen. Die Familie entschied sich für die Auswanderung. Am 6. April 1941 erhielten sie ein Telegramm mit der Erlaubnis zur Ausreise. Schon waren die ärmlichen Kleider neu genäht, die bürokratischen Formalitäten erledigt. Elizabeth holte ihr Abschlusszeugnis von der Schule ab. Die Familie ging zu einem Fotografen, um Fotos für ausländische Reisepässe zu machen. Aber heute, am 27. April 1941, kam die Nachricht, dass der argentinische Konsul das Visum verweigert hatte.


Sie malten sich aus, was auf sie zukommen würde. Ein halbes Jahr später, am 1. Oktober 1941, kam das strikte Verbot für Juden Deutschland zu verlassen. Ihre letzten Tage in Freiheit.


Die ganze Familie wurde zur Zwangsarbeit verpflichtet. Elisabeth und Gertrud arbeiteten auf den Bauernhöfen. "Papa ist jetzt in Lindau am Bodensee, schreibt, er sei zufrieden; verspricht, über den Weihnachtsurlaub zu kommen", schreibt Elisabeth am 16. November 1941 in ihr Tagebuch.


Der Besitzer des Bauernhofes, in dem die Mädchen arbeiteten, ging, wie Dokumente belegen, zweimal zum Arbeitskommissariat in Rosenheim, um ihre Deportation in ein Konzentrationslager zu vertagen. Beschäftigung bot Hoffnung auf einen Aufschub des Todes.


"Die Arbeit bringt mir Seelenfrieden; ich bin so froh und dankbar, sie zu haben; und sie ermöglicht mir, hier zu bleiben", so beginnt der Eintrag am Sonntag, 26. Oktober 1941.


Der letzte Eintrag im Tagebuch, das zufällig überlebt hat und nach dem Krieg gefunden wurde, ist auf den 8. März 1942 datiert.

Die Abreise in das Durchgangs-(Transit-)Lager im Münchner Stadtteil Milbertshofen erfolgte wahrscheinlich am 16. März 1942. Am 3. April 1942 fuhr ein mit 989 bayerischen Juden beladener Zug nach Lublin. Aus dem Lager Lublin-Majdanek wurden die Inhaftierten meist in die Vernichtungslager Belzec oder Sobibor verschleppt. Vermutlich ist die gesamte Familie Block im Mai 1942 umgekommen.


Unsere Referenz


Elisabeth Block wurde am 12. Februar 1923 in Niedernburg bei Rosenheim geboren. Nach der "Machtergreifung" im Jahr 1933 verschlechterten sich die Verhältnisse auch in Oberbayern. 1938 durfte Elisabeth nicht mehr zur Schule gehen. 1940 wurde ihr Vater Fritz Block zu Zwangsarbeit im Gleisbau verpflichtet. Ab Mai 1941 wurden sie und ihre Schwester zu Arbeitsdiensten auf einen Bauernhof herangezogen. 


Im März 1942 schließlich musste die Familie ihr Haus verlassen und wurde in das Judenlager Milbertshofen nach München beordert. Sie wurden vermutlich in dem Vernichtungslager Belzec oder dem Vernichtungslager Sobibor ermordet.


© — Viktor Fishman


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