Georg Soanca-Pollak

Künstler der Hoffnung

Bei Georg Soanca-Pollak kann einem schon einmal ein Licht aufgehen. Das ist auch nicht verwunderlich. Denn Soanca-Pollak ist Lichtgestalter. Gemeinsam mit seinem Geschäftsführungspartner Ulrich Beckert betreibt Soanca-Pollak in München ein renommiertes Unternehmen. Das entwickelt für zahlungskräftige Kunden Beleuchtungskonzepte, um deren Büro- oder Privaträume im wahrsten Sinn im besten Licht zu präsentieren. 


In gewisser Hinsicht passt Soanca-Pollaks Beruf aber auch zu seiner eigentlichen Berufung. Denn der 1967 im rumänischen Klausenburg Geborene, der seit 1982 in Deutschland lebt und von 1993 bis 1998 an der Akademie der Bildende Künste Nürnberg im Fachbereich Innenarchitektur studierte, hat ein zweites Leben: Mit Kunstaktionen will er Licht in eine ganz dunkle Zeit Deutschlands bringen - den Verbrechen der Nationalsozialisten des Dritten Reichs an der jüdischen Bevölkerung. 


Seit fast drei Jahrzehnten, genauer seit 1995, setzt sich der jüdische Künstler mit den Verhältnissen in Deutschland vor 1945 auseinander. Grundsätzlich lässt er sich bei seinen Installationen von dem Gedanken leiten, nicht allgemein-summarisch das Gedenken an die Opfer der faschistischen Verbrechen zu diskutieren. Er holt einzelne Holocaust-Schicksale durch die öffentliche Präsentation von Namen der Holocaust-Opfer, durch deren Fotos und Zeugnisse aus der Anonymität in die Gegenwart und gibt so der Schoa ein lebendiges Gesicht. Eine Auswahl aus seinen Projekten mag dies belegen. 


„Auseinandersetzung zwischen dem Nicht Fassbaren und dem Fassbaren“ 

In einem seiner Werke wird dies sehr deutlich. Anlässlich einer wie öfters bei Soanca-Pollak zu erlebenden mehrteiligen Installation platziert er in der Mitte des Ausstellungsraums so genannte Stülpschachteln, die normalerweise zum Archivieren verwendet werden. Hierin liegen Portraits aus einem Gedenkbuch für die ermordeten Münchner Juden - 4.596 Umschläge versehen mit Biographien von Ermordeten. In anderen Schachteln befinden sich Umschläge mit der Aufschrift „wir vergessen nicht uns zu erinnern“. Hintergrund ist, dass die Nationalsozialisten viele an die Adressaten versandten Briefe mit dem Vermerk „Adressat unbekannt“ zurücksandten. Die Empfänger waren bereits deportiert, ermordet. Besonderheit dieser Ausstellung: Die Besucher konnten unter den Umschlägen wählen und sich einen mit nachhause nehmen. Auf diese Weise werden die Opfer der Nationalsozialisten in die Jetztzeit transferiert und Teil des heutigen Lebens. 


Lichtinstallation “Hinter den Namen” 

Oder die Lichtinstallation “Hinter den Namen”: Soanca-Pollack projizierte die Namen von über 2000 Münchner Opfern der nationalsozialistischen “Euthanasie”-Morde an die Außenwände des NS-Dokumentationszentrums der bayerischen Hauptstadt und des kbo-Isar-Amper-Klinikums. Am 18. Januar 1940 startete von der damaligen Heil- und Pflegeanstalt Eglfing-Haar aus der erste Transport von 25 Menschen im Zuge des NS-Euthanasie-Programms nach Grafeneck. Dort wurden sie ermordet. Bis 1945 töteten die Nationalsozialisten in den Anstalten Grafeneck und Hartheim, aber auch in der Heil- und Pflegeanstalt Eglfing-Haar selbst, zwischen 2000 bis 3000 psychisch kranke Patienten und Patientinnen. 


“Ich sehe die Lichter der Stadt – ich sehe sie aus” 

Den Gräueln des Nazi-Regimes gibt Soanca-Pollack bei der aus drei Einzelwerken bestehenden Installation “ich sehe die Lichter der Stadt – ich sehe sie aus” im KZ Dachau ein sehr individuelles, persönliches Gesicht. Auf einem Holztisch legt Soanca-Pollack 40 Passpartouts aus - “Bilder der Erinnerung” nennt er diese Installation. Es sind Einzelportraits von 40 durch die Nazis ermordete Menschen, die er stellvertretend für Hundertausende ins Bewusstsein der Besucher und somit ins Leben heutiger Menschen holt und auf diese Weise im übertragenen Sinn direkten Kontakt mit ihnen aufnimmt – ein immer wiederkehrendes Moment seiner künstlerischen Arbeiten. 


Am Ende des Holztisches hängt Soanca-Pollack in einer weiteren Installation, “Himmel”, sechs Stoffbahnen. Auf die projiziert er Filmaufnahmen des KZ Dachau – Wachturm, flache Baracken, massive Schornsteine, Zäune. Mithin die Zurschaustellung nationalsozialistischer Funktionalität der Massenvernichtung. 


Der dritte Teil der Dachauer Ausstellung, “18 Minuten” benannt, besteht aus 18 Standfotos aus dem “Himmel”-Film. Sie symbolisieren das Thema Zeit. Zeit, die immer vergeht. Wobei 18 keine zufällige Zahl ist. Sie steht in der jüdischen Tradition für Leben, hergeleitet aus dem hebräischen Begriff Chaj. 


“Augenblicke” 

In einer Foto-Projektion auf der Kunst-Insel des Lenbachplatzes in München konzentriert sich Soanca-Pollak auf das Schicksal zweier junger Menschen: Die beiden Schulkinder Erika, 11 Jahre, und Herbert, 16 Jahre. Die beiden Jugendlichen wurden am 20. November 1941 aus ihren Klassenzimmern geholt und mit dem ersten Zug von zu Deportierenden aus München nach dem litauischen Kaunas transportiert. Dort ermordeten sie die Nationalsozialisten am 25. November. 


Auch hier holt der Künstler mit den überlebensgroßen Portraits der Kinder deren Schicksal wieder in das Bewusstsein der Gegenwart und der Betrachter. Er hebt die beiden so aus der Anonymität heraus und macht sie stellvertretend sichtbar für die Nachwelt. Die Installation war drei Wochen zu sehen und endete am 20. November 1941 – dem 78. Jahrestag, an dem die beiden Kinder von den Nazis aus den Schulen ab- und ihrem Tod zugeführt wurden. 


“Gang des Erinnerns” 

Das bekannteste Werk des Künstlers Georg Soanca-Pollak ist der “Gang des Erinnerns”, ein 32 Meter langer unterirdischer Weg, der vom Münchner jüdischen Gemeindezentrum zur Synagoge führt. Die Installation ist ausgesprochen aufwendig realisiert. Linkerhand des Wegs sieht der Betrachter die Namen von 4500 Münchner Juden, die dem Holocaust zum Opfer fielen. Die Namen wurden im Siebdruckverfahren auf drei Glasplatten gedruckt. Insgesamt bestand die Installation aus sechs Lagen opaker Glasplatten, die zu einer einzigen geformt wurden. Für den Betrachter entstand so der plastisch-changierende Eindruck von herausgehobenen und zurücktretenden Namen. 


Auf der rechten Seite des Ganges applizierte Soanca-Pollak auf die glatte Wand sandstrahlgetrieben verschiedene oft im Zusammenhang mit dem Holocaust benutzte Begrifflichkeiten wie “Erinnern”, “Trauern”, "Gedenken, “Mahnen”. In der Mitte des Ganges sehen die Besucher rechtsseitig den Davidstern zusammen mit der Zahl 6.000.000, der Zahl der Holocaust-Opfer insgesamt, flankiert von mehreren Namen von Konzentrationslagern wie Auschwitz, Dachau, Birkenau, Theresienstadt. Das Schicksal von Millionen ermordeter Jüdinnen und Juden gipfelt im Gang des Erinnerns in dem Satz “Und keiner sprach für sie das Totengebet”. Denn niemand konnte für die millionenfach Getöteten noch ein Totengebet sprechen, weil ganze Familien komplett ausgelöscht wurden. Es gab also niemanden mehr, der für die Trauer noch am Leben gewesen wäre. Für Juden ist das Totengebet aber eine bedeutende Tradition. Diesen Part sollen nun, so Soanca-Pollak, die heute Lebenden übernehmen. 


Aber Soanca-Pollak will es nicht beim Trauern belassen. Geht der Betrachter weiter, offenbart Soanca-Pollacks Installation dessen Hoffnung für die Jetztzeit und die Zukunft: hier nämlich liest man die Begriffe “Lernen”, “Versöhnen”, “Sprechen” und schließlich “Leben”. 

In seiner Ansprache zur Eröffnung des “Gang der Erinnerung” betonte der Künstler, hinter jedem der sechs Millionen Toten stehe ein Individuum. Das symbolisieren die 4500 Namen auf der linken Seite des Ganges. Auf der rechten Seite benennt er historische Fakten. Am Ende des Gangs liest der Besucher auf der rechten Seite das Datum 9. November 2006 – den Tag der Eröffnung der Münchner Synagoge. Der 9. November wird in Deutschland immer verbunden bleiben mit dem 9. November 1938 – der Reichspogromnacht. 


Licht – Symbol für die Seele des Menschen 

Licht, sagte Georg Soanca-Pollak einmal, sei das Symbol für die Seele der Menschen. Unter dieser Prämisse ist sein (Lebens)Werk zu sehen. Schnöde betrachtet verkauft er Lichtgebilde in einem Innenarchitekturunternehmen. Im übertragenen und bedeutenderen Sinn aber möchte er mit seinen Kunstwerken Licht und damit Hoffnung schaffen. Er will nicht die Gräueltaten der Nationalsozialisten vergessen machen. Vielmehr will er Verstehen schaffen für Vergangenes und Hoffnung geben für eine gemeinsame Zukunft über Grenzen hinweg.


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